DER HAMMER FÄLLT
er Mond schwebte zwischen den Sternen, als
Roran aus dem Zelt herauskam, das er sich mit Baldor teilte, zum
Rand des Lagers ging und Albriech von der Wache ablöste.
»Keine besonderen Vorkommnisse«, flüsterte
Albriech und verschwand.
Roran hakte die Sehne in den Bogen ein und
steckte drei mit Gänsefedern bestückte Pfeile aufrecht in den Sand,
um sie jederzeit blitzschnell greifen zu können. Dann legte er sich
eine Decke um und lehnte sich an die Felswand. Von dieser Position
aus hatte er einen guten Blick nach unten und über die dunklen
Bergausläufer.
Aus Gewohnheit unterteilte Roran die
Landschaft in Quadranten und musterte jeden eine volle Minute,
suchte nach plötzlichen Bewegungen oder schwankenden Lichtern, die
das Herannahen von Feinden verrieten. Doch schon bald wanderten
seine Gedanken umher, sprangen wie in einem wirren Traum von einem
Thema zum anderen und lenkten ihn von seiner Aufgabe ab. Er biss
sich in die Innenseite der Wangen, um sich zur Konzentration zu
zwingen. Bei so mildem Wetter wach zu bleiben, war schwierig
…
Roran war froh, dass er beim Losen nicht
eine der beiden letzten Wachen vor Tagesanbruch gezogen hatte, denn
da konnte man den verlorenen Schlaf nicht mehr nachholen und war
den ganzen Tag hundemüde.
Ein leichter Windstoß wehte ihm entgegen und
jagte ihm ein schauriges, unheilschwangeres Kribbeln über den
Rücken. Seine Reaktion erschreckte Roran und verdrängte jeden
Gedanken in ihm. Nur die Überzeugung, dass er und die Dorfbewohner
in tödlicher Gefahr waren, blieb. Er zitterte, das Herz schlug ihm
bis zum Hals, und er musste sich zusammenreißen, um nicht
aufzuspringen und fortzurennen.
Was ist denn nur los
mit mir? Es kostete ihn schon Mühe, nur einen Pfeil an
die Bogensehne zu legen.
Im Osten löste sich ein Schatten vom
Horizont. Er war nur als Leere zwischen den Sternen zu erkennen und
trieb wie ein zerrissener Schleier über den Himmel, bis er den Mond
verdeckte und dann reglos verharrte. Von hinten angestrahlt,
erkannte Roran die durchsichtigen Schwingen eines der Flugrösser
der Ra’zac.
Das schwarze Wesen riss den Schnabel auf und
stieß einen lang gezogenen, markerschütternden Schrei aus. Roran
verzog das Gesicht vor Schmerz. Der gellend hohe Ton stach ihm ins
Trommelfell, gefror sein Blut zu Eis, überdeckte Hoffnung und
Freude mit Verzweiflung. Das Kreischen weckte den ganzen Wald auf.
Meilenweit stimmten Vögel und andere Tiere einen wehklagenden,
panischen Chor an, in den zu Rorans Bestürzung auch die
Dorfbewohner mit einstimmten.
Roran hastete von Baum zu Baum zum Lager
zurück. »Die Ra’zac sind da«, zischte er jedem zu, dem er
begegnete. »Seid leise und bleibt, wo ihr seid!« Er sah, wie die
anderen Wachen umhereilten und überall die gleiche Nachricht
verbreiteten.
Fisk kam mit einem Speer in der Hand aus
seinem Zelt gestürmt. »Greift man uns an?«, rief er. »Was hat
dieser verdammte -« Roran riss den Tischler zu Boden, um ihn zum
Schweigen zu bringen, und stieß einen erstickten Schrei aus, als er
auf der rechten Schulter landete und seine alte Verletzung sich mit
einem stechenden Schmerz zurückmeldete.
»Ra’zac«, knurrte er Fisk zu.
Fisk erstarrte. »Was soll ich tun?«,
flüsterte er.
»Hilf mir, die Tiere ruhig zu halten!«
Sie schlichen durchs Lager zur angrenzenden
Weide, wo die Ziegen, Schafe, Esel und Pferde grasten. Die Bauern,
denen sie größtenteils gehörten, schliefen bei ihnen und waren
schon dabei, die Tiere zu beruhigen. Roran war froh, darauf
bestanden zu haben, die Herde am Rand der Weide zu verteilen, wo
die Bäume und Büsche sie halbwegs vor neugierigen Blicken
schützten.
Während er mühsam einige aufgeschreckte
Schafe beruhigte, blickte Roran zu dem Furcht erregenden Schatten
auf, der noch immer den Mond verdunkelte wie eine riesige
Fledermaus. Zu seinem Entsetzen kam er auf sie zu. Wenn dieses Ungetüm noch einmal schreit, sind wir
verloren!
Als der Ra’zac direkt über ihnen kreiste,
hatten sich die meisten Tiere wieder beruhigt. Plötzlich stieß
einer der Esel ein heiseres Iah aus. Ohne zu zögern, legte Roran einen
Pfeil an die Sehne und schoss ihn dem Esel zwischen die Rippen. Er
traf sein Ziel und das Tier kippte lautlos um.
Aber es war trotzdem zu spät. Der Schrei des
Esels hatte den Ra’zac alarmiert. Das Monster wandte den spitzen
Schädel zur Lichtung und kam mit ausgestreckten Klauen zu ihnen
herabgeschwebt. Sein Aasgestank eilte ihm voraus.
Jetzt werden wir sehen,
ob man einen Albtraum umbringen kann, dachte Roran. Fisk, der
neben ihm im Gras kauerte, hielt den Speer im Anschlag, um ihn zu
schleudern, sobald die Bestie nahe genug war.
Als Roran die Sehne zurückzog, um den Kampf
mit einem gut platzierten Schuss zu eröffnen und möglichst auch zu
beenden, hörte er laute Geräusche im Wald.
Eine riesige Rotwildherde brach aus dem
Unterholz und donnerte über die Weide, ignorierte Dorfbewohner und
Vieh in dem panischen Bemühen, dem Ra’zac zu entkommen. Fast eine
Minute lang preschten die Tiere an Roran vorbei und wühlten mit
ihren scharfen Hufen den Boden auf. Sie kamen ihm so nahe, dass er
ihr leises, flüchtiges Keuchen hörte und in ihren weiß umrandeten
Augen das Mondlicht sah.
Das viele Wild schien das Flugross über die
Dorfbewohner hinweggetäuscht zu haben, denn nach einer letzten
Runde über der Lichtung drehte es nach Süden ab und verschmolz über
dem Buckel mit der Nacht.
Roran und seine Gefährten blieben reglos
liegen, vor Angst wie erstarrt. Sie fürchteten, dass der Ra’zac nur
fortgeflogen war, um sie ins Freie zu locken, und dass plötzlich
ein Komplize erscheinen könnte. Sie warteten stundenlang, wachsam
und bange, und bewegten sich nur, um ihre Bogen zu bespannen.
Kurz bevor der Mond unterging, ertönte in
weiter Ferne der gellende Schrei eines Ra’zac... dann herrschte
Ruhe.
Wir haben Glück
gehabt, dachte Roran, als er am nächsten Morgen
erwachte. Aber wir können nicht darauf
zählen, dass es beim nächsten Mal wieder so glimpflich
ausgeht.
Nach dem Besuch des Ra’zac hatte keiner mehr
etwas dagegen, die Reise in einer Barke fortzusetzen. Im Gegenteil,
plötzlich hatten die Dorfbewohner es mächtig eilig, und viele
fragten Roran, ob sie nicht sofort in See stechen könnten statt
erst am nächsten Tag.
»Ich wünschte, das ginge«, sagte er. »Aber
wir müssen vorher noch ein paar Dinge erledigen.«
Ohne zu frühstücken, marschierten er, Horst
und ein paar andere Männer nach Narda. Roran war klar, dass er Kopf
und Kragen riskierte, aber die Sicherheit seiner Gefährten war ihm
wichtiger als seine eigene. Außerdem war er davon überzeugt, dass
sich sein derzeitiges Aussehen so deutlich von der
Steckbriefzeichnung unterschied, dass ihn niemand erkennen
würde.
Sie hatten keine Schwierigkeiten, in die
Stadt zu gelangen, denn heute standen andere Soldaten am Tor. Sie
gingen sofort zum Hafen und gaben Clovis die zweihundert Kronen.
Der Kapitän beaufsichtigte gerade einen Arbeitstrupp, der die
Barken seetüchtig machte.
»Danke sehr, Hammerfaust«, sagte er und band
sich den Münzbeutel fest an den Gürtel. »Nichts schimmert heller
als Gold.« Er führte sie zu einer Werkbank und rollte eine Seekarte
von den Gewässern um Narda aus, auf der alle Strömungen, Felsen,
Sandbänke und andere Gefahrenstellen verzeichnet waren, dazu über
Jahrzehnte hinweg gesammelte eingetragene Tiefenmessungen. Clovis
fuhr mit dem Finger von Narda zu einer kleinen Bucht südlich der
Stadt. »Dort nehmen wir euer Vieh an Bord. Die Gezeiten sind um
diese Jahreszeit recht friedlich, aber ich will trotzdem kein
Risiko eingehen. Wir stechen sofort nach Einsetzen der Flut in See,
und das ist mein letztes Wort.«
»Wenn die Flut einsetzt?«, fragte Roran.
»Wäre es nicht besser, uns bei Ebbe von der Strömung hinaustragen
zu lassen?«
Clovis tippte sich an die Nase und seine
Augen funkelten. »Ja, das stimmt, aber es geht darum, den
Gezeitenwechsel abzupassen. Ich will nicht am Ufer liegen und eure
Tiere verladen, wenn die Flut kommt und uns landeinwärts treibt.
Das wäre zwar nicht weiter gefährlich, aber wenn wir es richtig
bemessen, haben wir alles eingeladen, wenn die Ebbe beginnt, und
dann arbeitet das Meer für uns.«
Roran nickte. Er vertraute Clovis’
Erfahrung. »Wie viele Männer brauchst du, um die Mannschaft zu
komplettieren?«
»Ich habe sieben Burschen
zusammengetrommelt, starke, gute Matrosen, die dieses Abenteuer
unternehmen wollen, so seltsam es auch sein mag. Sie hatten schon
mächtig einen gehoben, als ich sie gestern Abend in der
Hafenschänke angesprochen habe. Morgen früh sind sie aber wieder
nüchtern wie alte Jungfern, das verspreche ich dir. Da ich auf die
Schnelle nur sieben Mann auftreiben konnte, hätte ich gern noch
vier von deinen Leuten.«
»Kein Problem«, sagte Roran. »Meine Männer
verstehen zwar nicht viel vom Segeln, aber sie sind tüchtig und
willig.«
Clovis knurrte. »Ich habe sowieso bei jedem
Törn ein paar Anfänger dabei. Wenn sie meinen Anweisungen folgen,
werden sie keine Probleme haben. Andernfalls ziehe ich ihnen ein
Belegholz über die Rübe, merk dir meine Worte! Und was die Wachen
angeht: Ich hätte gerne neun Mann, drei pro Barke. Sie sollten aber
nicht so unerfahren sein wie die Aushilfsmatrosen, sonst lege ich
gar nicht erst ab, nicht für allen Whiskey der Welt.«
Roran erlaubte sich ein grimmiges Grinsen.
»Jeder Mann, der mit mir reist, hat sich mehr als einmal im Kampf
bewährt.«
»Und sie hören alle auf dich, was, junger
Hammerfaust?« Clovis kratzte sich am Kinn und betrachtete Gedric,
Delwin und die anderen, die das erste Mal in Narda waren. »Wie
viele Männer hast du dabei?«
»Genug.«
»Genug, sagst du. Na, da bin ich ja
gespannt.« Er winkte ab. »Achte nicht auf meine Worte! Meine Zunge
ist oft schneller als mein Hirn, jedenfalls hat mein Vater das
immer behauptet. Mein Erster Maat Torson ist Handelsbeauftragter
und überwacht den Ankauf und das Verladen von Waren und Ausrüstung.
Ich nehme an, dass ihr Futter für eure Tiere habt?«
»Unter anderem.«
»Dann schafft es herbei. Wir verstauen es in
den Laderäumen, bevor die Maste hochgezogen werden.«
Den Rest des Tages schleppten Roran und
seine Gefährten die Nahrungsmittel, die Lorings Söhne gekauft und
in einem Schuppen gelagert hatten, zum Hafen und luden sie in die
Barken.
Als Roran über die Laufplanke
zur Edeline ging und dem
Matrosen, der in der Luke wartete, einen Mehlsack reichte, bemerkte
Clovis: »Das meiste von dem Zeug ist aber kein Tierfutter,
Hammerfaust.«
»Nein«, pflichtete Roran ihm bei. »Aber wir
brauchen es.« Er war froh, dass Clovis klug genug war, nicht weiter
nachzufragen.
Als die letzten Vorräte verstaut waren,
winkte Clovis Roran zu sich. »Ihr könnt jetzt gehen. Meine Männer
und ich erledigen den Rest. Vergiss nicht, ihr müsst drei Stunden
nach Tagesanbruch mit jedem Mann, den du mir zugesagt hast, hier am
Pier sein. Sonst verpassen wir die Flut.«
»Wir werden da sein.«
Im Lager half Roran Elain und den anderen
beim Packen. Es dauerte nicht lange, da sie es gewohnt waren, fast
täglich weiterzuziehen. Danach suchte er zwölf Männer aus, die ihn
am nächsten Morgen nach Narda begleiten sollten. Alle waren gute
Kämpfer, doch die besten, wie Horst und Delwin, sollten bei den
Dorfbewohnern bleiben, für den Fall, dass die Soldaten sie
entdeckten oder die Ra’zac zurückkehrten.
Als es Nacht wurde, trennten sich die beiden
Gruppen. Roran saß auf einem Felsen und beobachtete, wie die
Dorfbewohner unter Horsts Führung zu der Bucht aufbrachen, in der
sie auf die Barken warten würden.
Orval trat zu ihm heran und verschränkte die
Arme vor der Brust. »Glaubst du, dass sie in Sicherheit sind,
Hammerfaust?« In seinem Ton schwang tiefe Sorge mit.
Obwohl auch er beunruhigt war, sagte Roran:
»Natürlich. Ich wette um ein Fass Apfelwein, dass sie noch selig
schlummern, wenn wir morgen an dem Strand anlegen. Dann hast du das
Vergnügen, Nolla zu wecken. Wie klingt das?« Orval lächelte, als
Roran seine Frau erwähnte, und nickte beruhigt.
Hoffentlich behalte ich
Recht! Roran blieb wie versteinert auf dem Felsen hocken,
bis die dunkle Karawane der Dorfbewohner aus seiner Sicht
verschwand.
Sie erwachten eine Stunde vor Sonnenaufgang,
als eine blasse Färbung den Himmel zu erhellen begann. Ihre Finger
waren noch ganz klamm von der kühlen Nachtluft. Roran spritzte sich
Wasser ins Gesicht, griff sich Bogen und Köcher, den
unentbehrlichen Hammer, einen von Fisks Schilden und einen Speer
von Horst. Die anderen rüsteten sich gleichermaßen und schnallten
sich zusätzlich die Schwerter um, die sie bei den Kämpfen in
Carvahall erbeutet hatten.
Die dreizehn Männer liefen, so rasch es
ging, die unwegsamen Hügel hinunter zur Straße und erreichten kurz
darauf das Stadttor von Narda. Beunruhigt sah Roran, dass die
beiden Soldaten Wache schoben, die ihnen schon am ersten Tag
unliebsame Fragen gestellt hatten. Und wie zuvor kreuzten sie auch
diesmal ihre Lanzen.
»He, dich kenne ich doch«, bemerkte der
weißhaarige Soldat, an Roran gerichtet. »Wo sind denn deine
Gefährten vom letzten Mal? Hast wohl heute neue Freunde
mitgebracht, und gleich mehr als neulich. Und willst mir sicher
auch noch weismachen, dass eure Schilde und Speere ebenfalls
Töpferwerkzeuge sind, was?«
»Nein. Clovis hat uns angestellt, um seine
Barken auf der Fahrt nach Teirm vor Angriffen zu schützen.«
»Euch? Ihr wollt Söldner sein?« Die Soldaten lachten.
»Hast du nicht gesagt, ihr wärt Handwerker und Einkäufer?«
»Diese Arbeit wird besser bezahlt.«
Der Weißhaarige runzelte die Stirn. »Du
lügst. Ich habe mich auch schon als Geleitschutz verdingt. Da
gibt’s nicht viel zu verdienen. Wie viele seid ihr eigentlich?
Gestern wart ihr sieben und heute zwölf - mit dir dreizehn. Das
kommt mir reichlich viel vor für eine Gesandtschaft von
Kleinkrämern.« Er kniff die Augen zusammen, als er Rorans Gesicht
genauer musterte. »Wie lautet dein Name?«
»Hammerfaust.«
»Und dein Vorname, lautet der
zufällig... Roran?«
Roran stieß dem Weißhaarigen die Speerspitze
in die Kehle. Leuchtend rotes Blut spritzte heraus. Er ließ den
Speer fallen, zückte den Hammer, wirbelte herum und blockte mit dem
Schild die heransausende Lanze des zweiten Soldaten ab. Er holte
mit dem Hammer aus und zerschmetterte den Helm des Mannes.
Keuchend stand er zwischen den beiden
Leichnamen. Jetzt habe ich schon zehn
Menschen getötet!
Orval und die anderen Männer starrten Roran
schockiert an. Nicht imstande, ihre Blicke zu ertragen, wandte er
sich um und deutete auf den Abwassergraben, der entlang der Straße
verlief. »Werft die Leichen dort rein, bevor jemand sie sieht!«,
befahl er ihnen barsch. Während sie dem Befehl hastig Folge
leisteten, schaute er zu den Zinnen der Stadtmauer hinauf.
Glücklicherweise waren dort keine Wachen zu sehen, ebenso wenig wie
auf der Straße hinter dem Torweg. Er bückte sich und säuberte die
Speerspitze an einem Grasbüschel.
»Erledigt«, sagte Mandel und kletterte aus
dem Graben. Sein Bart konnte nicht verbergen, dass der junge Mann
kreidebleich geworden war.
Roran nickte, straffte sich und hielt eine
kurze Ansprache: »Hört zu! Wir gehen jetzt zügig, aber unauffällig
zum Hafen. Wir werden auf keinen Fall rennen. Falls Alarm
geschlagen wird, zeigt euch überrascht und neugierig, aber verliert
nicht die Nerven! Was ihr auch tut, gebt den Leuten keinen Anlass,
uns zu verdächtigen! Das Leben eurer Familien und Freunde hängt
davon ab. Wenn man uns angreift, ist eure einzige Pflicht, dafür zu
sorgen, dass die Barken in See stechen. Alles andere ist unwichtig.
Verstanden?«
»Ja, Hammerfaust«, antworteten sie im
Chor.
»Dann folgt mir!«
Während er durch Narda marschierte, war
Roran so angespannt, dass er meinte, jeden Moment in tausend Stücke
zerspringen zu müssen. Was ist bloß aus
mir geworden?, fragte er sich. Er blickte verstohlen auf die
Passanten, die ihnen entgegenkamen, hielt nach möglichen Feinden
Ausschau. Alles um ihn herum wirkte unnatürlich hell und jede
Einzelheit stach ihm überdeutlich ins Auge. Es kam ihm vor, als
könnte er sogar die einzelnen Fäden in der Kleidung der Menschen
unterscheiden.
Sie erreichten den Hafen ohne weitere
Zwischenfälle. »Du bist früh dran, Hammerfaust«, begrüßte Clovis
ihn. »Das gefällt mir, denn so können wir alles in Ruhe
vorbereiten, bevor es losgeht.«
»Können wir nicht sofort in See stechen?«,
fragte Roran.
»Du kennst doch den Plan. Wir warten, bis
die Flut ihren höchsten Stand erreicht hat, und dabei bleibt es
auch.« Clovis hielt inne und nahm die dreizehn Männer zum ersten
Mal richtig in Augenschein. »Was ist denn los, Hammerfaust? Ihr
seht aus, als hättet ihr den Geist des alten Galbatorix
gesehen.«
»Nein, es ist nichts, was ein paar Stunden
Seeluft nicht kurieren könnten«, erwiderte Roran. Er brachte zwar
kein Lächeln zustande, rang sich aber einen etwas umgänglicheren
Ton ab, um den Kapitän zu beruhigen.
Clovis orderte mit einem Pfiff zwei
Seemänner von den Barken herunter. Die beiden Burschen waren
gebräunt wie Haselnüsse. »Das ist Torson, mein Erster Maat.« Clovis
deutete auf den rechten Mann. Auf Torsons nackter Schulter prangte
die verschlungene Tätowierung eines fliegenden Drachen. »Er ist
Skipper auf der Annabell. Und
dieser schwarze Hund hier ist Flint. Er hat das Kommando auf
der Edeline. Während ihr an Bord
seid, ist das Wort dieser beiden Gesellen Gesetz, wie das meine auf
der Roten Bache. Ihr gehorcht ihnen
und mir, nicht Hammerfaust. Ich will jetzt ein lautes ›Aye-Aye,
Käpt’n‹ hören, wenn ihr mich verstanden habt.«
»Aye-Aye, Käpt’n.«
»Gut. Also, tretet vor! Wer von euch ist
Matrose und wer gehört zur Wachmannschaft? Ich kann euch ums
Verrecken nicht auseinander halten.«
Die Männer ignorierten Clovis’ Feststellung,
dass er das Kommando führte, und sahen Roran fragend an, um zu
sehen, ob sie dem Befehl gehorchen sollten. Er nickte, also
stellten sie sich in zwei Gruppen auf, die Clovis weiter
unterteilte und den verschiedenen Barken zuwies.
In der nächsten halben Stunde half Roran den
Matrosen, die Rote
Bache startklar zu machen, und lauschte dabei ständig, ob
in der Stadt Alarm geschlagen wurde. Es
könnte brenzlig werden, wenn wir nicht bald ablegen, dachte
er, warf einen prüfenden Blick auf den Wasserstand am Pier und
wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Roran zuckte zusammen, als Clovis ihn am
Unterarm packte. Instinktiv riss er den Hammer halb aus dem
Gürtel.
Clovis schaute erstaunt angesichts dieser
Reaktion. »Ich habe dich beobachtet, Hammerfaust. Und ich wüsste
gern, wie du diese unerschütterliche Loyalität deiner Männer
gewonnen hast. Ich habe unter mehr Kapitänen gedient, als mir lieb
ist, und nicht einem wurde so viel Gehorsam entgegengebracht wie
dir, und das, ohne dass du dir die Lungen aus dem Leib hättest
brüllen müssen.«
Roran musste unwillkürlich lachen. »Ich sage
dir, wie ich es geschafft habe: Ich habe sie vor der Sklaverei
bewahrt und davor, aufgefressen zu werden.«
Clovis’ Augenbrauen hoben sich fast bis zum
Haaransatz. »Ach wirklich? Diese Geschichte würde ich allzu gerne
hören!«
»Nein, würdest du nicht, glaub’s mir.«
Clovis zögerte einen Moment lang, dann sagte
er: »Na ja, vielleicht hast du Recht.« Er schaute aufs Wasser.
»Beim Henker, ich glaube, wir können in See stechen. Ah, und da
kommt meine kleine Galina, pünktlich wie immer!«
Der untersetzte Mann sprang auf die
Laufplanke und von dort auf den Pier, wo er ein dunkelhaariges
Mädchen von etwa dreizehn Jahren und eine Frau umarmte, die
offenbar die Mutter des Mädchens war. Clovis strich dem Kind über
das Haar. »Du wirst schön brav sein, während ich auf See bin, nicht
wahr, Galina?«
»Ja, Vater.«
Während Roran beobachtete, wie sich Clovis
von seiner Familie verabschiedete, dachte er an die beiden toten
Soldaten am Stadttor. Sie hatten bestimmt
auch Familien. Frauen und Kinder, die sie liebten, und ein Heim, zu
dem sie jeden Tag zurückkehrten... Er schmeckte Galle im
Mund und lenkte seine Gedanken wieder auf die Hafenmole, um sich
nicht zu übergeben.
Seine Gefährten auf den Barken wirkten
unruhig. Da Roran befürchtete, dass sie die Nerven verlieren
könnten, schlenderte er betont gelassen auf dem Deck herum, reckte
und streckte sich und tat alles, um entspannt zu wirken.
Schließlich kam Clovis wieder an Bord und rief: »Ablegen, Männer!
Die See erwartet uns!«
Kurz nacheinander wurden auf den drei Barken
die Laufplanken eingeholt, die Leinen losgemacht und die Segel
gesetzt. Befehle hallten durch die Luft, und die Matrosen sangen
rhythmisch, während sie die Leinen einholten.
Galina und ihre Mutter standen schweigend
und ernst auf dem Pier, während die Barken in See stachen.
»Wir haben Glück, Hammerfaust.« Clovis
klopfte ihm auf die Schulter. »Wir haben heute einen kräftigen Wind
im Rücken. Wir müssen nicht einmal rudern, um vor dem
Gezeitenwechsel die Bucht zu erreichen!«
Die Rote
Bache befand sich noch in der Bucht von Narda und knapp
zehn Minuten von der Freiheit des offenen Meeres entfernt, als das
passierte, was Roran die ganze Zeit befürchtet hatte. Aus der Stadt
hallten das Läuten von Glocken und das Schmettern von Trompeten
über das Wasser zu ihnen heran.
»Was ist das denn?«, gab er sich
erstaunt.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Clovis. Er
starrte stirnrunzelnd nach Narda zurück, die Hände in die Hüften
gestemmt. »Es könnte ein Feuer sein, aber ich sehe nirgends Rauch.
Vielleicht hat man in der Umgebung Urgals entdeckt...« Auf seinem
Gesicht breitete sich Sorge aus. »Ist dir heute Morgen irgendetwas
Verdächtiges auf den Straßen aufgefallen?«
Roran schüttelte nur den Kopf, denn er
traute seiner Stimme nicht.
Flint drehte neben ihnen bei. »Sollen wir
umkehren, Käpt’n?«, rief er von der Edeline herüber. Roran umklammerte das
Dollbord so fest, dass er sich Splitter in die Haut trieb; im
Notfall würde er das Kommando auf den Barken an sich reißen, doch
er wollte nicht vorschnell eingreifen.
Clovis riss den Blick von Narda los, schaute
zur Edeline hinüber und rief
zurück: »Nein, dann verpassen wir den Gezeitenwechsel!«
»Aye-Aye, Käpt’n! Aber ich würde eine
Tagesheuer dafür geben, um herauszufinden, was den Aufruhr
verursacht hat!«
»Ich auch«, murmelte Clovis.
Während die Häuser und Gebäude hinter ihnen
in immer weitere Ferne entrückten, hockte sich Roran am Heck der
Barke an die Kajütenwand und schlang die Arme um die Knie. Er
schaute erst zum weiten Himmel auf, beeindruckt von dem strahlenden
Blau, und danach ins schäumende, Seetang aufwirbelnde Kielwasser
der Roten Bache. Das Schwanken des
Bootes lullte ihn ein wie das Schaukeln einer
Wiege. Was für ein schöner Tag,
dachte er, dankbar, ihn erleben zu dürfen.
Nachdem sie zu Rorans Erleichterung die
Bucht verlassen hatten, kletterte er hinter der Kajüte die Leiter
zum Achterdeck hinauf, wo Clovis an der Ruderpinne stand und den
Kurs hielt. »Der erste Tag auf See hat immer etwas Erhebendes«,
sagte der Kapitän, »bevor einem allmählich klar wird, wie schlecht
das Essen ist, und man anfängt, sich nach Hause
zurückzusehnen.«
Um so viel wie möglich über die Barke zu
lernen, fragte Roran Clovis nach den Namen und Funktionen der
verschiedenen Geräte an Bord und erhielt als Antwort einen
enthusiastischen Vortrag über die Unterschiede von Barken und
anderen Schiffen und über die Kunst des Segelns im
Allgemeinen.
Zwei Stunden später deutete Clovis auf eine
schmale Halbinsel vor ihnen. »Die Bucht liegt auf der abgelegenen
Seite.« Roran beugte sich gespannt über die Reling, wollte
bestätigt sehen, dass die Dorfbewohner in Sicherheit waren.
Als die Rote
Bache die felsige Landzunge umrundet hatte, erblickten
sie am Ende der Bucht einen weißen Sandstrand, auf dem sich die
Flüchtlinge aus Carvahall versammelt hatten. Die Leute jubelten und
winkten, als die Barken hinter den Felsen auftauchten.
Roran entspannte sich.
Clovis dagegen stieß einen üblen Fluch aus.
»Ich habe von Anfang an gewusst, dass mit dir irgendetwas faul ist,
Hammerfaust. Vieh, ja? Von wegen! Du hast mich für dumm verkauft,
das hast du!«
»Du tust mir Unrecht«, widersprach Roran.
»Ich habe dich nicht belogen. Diese Menschen sind meine Herde und
ich bin ihr Hirte. Zumindest habe ich das Gefühl...«
»Nenne sie, wie du willst, aber wir haben
nicht vereinbart, dass ich Menschen nach Teirm bringen soll. Warum
hast du mir nicht die Wahrheit über deine Fracht gesagt? Die
einzige Antwort, die mir dazu einfällt, ist, dass dein Unterfangen
Ärger verheißt... Ärger für dich und Ärger für mich. Ich sollte
dich und deine Leute über Bord werfen und nach Narda
zurückkehren.«
»Das wirst du nicht tun«, sagte Roran
gefährlich leise.
»Ach nein? Und warum nicht?«
»Weil ich die Barken brauche, Clovis. Ich
werde alles tun, um sie zu behalten. Alles. Halte unsere Abmachung
ein, und du erlebst eine friedliche Fahrt und siehst Galina wieder.
Wenn nicht...« Die Drohung klang schlimmer, als sie gemeint war,
denn Roran hatte nicht vor, Clovis umzubringen, doch wenn ihm keine
andere Wahl blieb, würde er ihn und seine Mannschaft irgendwo an
der Küste aussetzen.
Clovis lief rot an, überraschte Roran
jedoch, als er knurrend sagte: »Das ist nur recht und billig,
Hammerfaust.« Zufrieden wandte Roran sich um und schaute wieder auf
den Strand.
Er hörte ein leises Zischen hinter
sich.
Instinktiv sprang er zur Seite, duckte sich,
wirbelte herum und hob den Schild über den Kopf. Sein Arm
vibrierte, als das Belegholz an dem Schild zerbrach. Er nahm den
Schild herunter und sah Clovis vorwurfsvoll an. Der Kapitän wich
langsam zurück.
Roran schüttelte den Kopf, ohne den Seemann
aus den Augen zu lassen. »Du kannst mich nicht besiegen, Clovis.
Ich frage dich noch einmal: Wirst du dich an unsere Abmachung
halten? Wenn nicht, setze ich dich an Land aus, übernehme das
Kommando über deine Barken und zwinge deine Mannschaft, unter mir
weiterzufahren. Ich will dir deine Boote nicht wegnehmen, aber ich
habe keine andere Wahl, wenn du mich dazu zwingst. Nun komm schon!
Dies kann eine ganz normale, ereignislose Reise werden, wenn du uns
hilfst. Vergiss nicht, wir haben dich schon bezahlt.«
Clovis straffte würdevoll die Schultern.
»Wenn ich einwillige, besitzt du gefälligst die Höflichkeit, mir zu
erklären, warum diese List nötig war, was diese Menschen hier
wollen und woher sie kommen. Egal, wie viel Gold du mir bietest,
ich werde kein Unternehmen unterstützen, das meinen Prinzipien
widerspricht. Nein, das werde ich nicht tun! Seid ihr Banditen?
Oder dient ihr dem verfluchten König?«
»Wenn du es erfährst, könnte es dich in
große Gefahr bringen.«
»Ich bestehe darauf!«
»Hast du schon mal von Carvahall gehört?«,
fragte Roran.
Clovis schnitt mit der Hand durch die Luft.
»Ja, das ist irgendein kleines Dorf im Norden, oder? Was ist
damit?«
»Du siehst das Dorf dort auf dem Strand.
Galbatorix’ Soldaten haben uns grundlos angegriffen. Wir haben uns
gewehrt, und als unsere Lage unhaltbar wurde, haben wir den Buckel
überquert und sind der Küste bis nach Narda gefolgt. Galbatorix hat
angekündigt, dass er jeden Mann, jede Frau und jedes Kind aus
Carvahall töten oder versklaven will. Wenn wir überleben wollen,
ist Surda unsere einzige Hoffnung.« Roran verzichtete darauf, die
Ra’zac zu erwähnen, denn er wollte Clovis nicht zu sehr
verängstigen.
Der wettergegerbte Seemann wurde ganz grau
im Gesicht. »Verfolgt man euch?«
»Ja, aber das Imperium hat uns noch nicht
entdeckt.«
»Und warum wurde in Narda Alarm
geschlagen?«
»Ich habe zwei Soldaten getötet, die mich
erkannt haben«, antwortete Roran mit leiser Stimme. Das Geständnis
erschreckte Clovis. Er riss die Augen auf, wich zurück, und an
seinen Unterarmen wölbten sich die Muskeln, als er die Fäuste
ballte.
»Entscheide dich, Clovis. Wir nähern uns dem
Strand.«
Roran wusste, dass er gewonnen hatte, als
der Kapitän die Schultern sinken ließ und das wütende Funkeln aus
seinen Augen verschwand. »Ach, die Pest möge dich holen,
Hammerfaust! Ich bin kein Freund des Königs; ich bringe euch nach
Teirm. Aber danach will ich nichts mehr mit euch zu tun
haben.«
»Habe ich dein Wort, dass du dich nicht
heimlich nachts davonstiehlst oder dir irgendeine andere List
ausdenkst?«
»Ja, du hast mein Wort.«
Sand und Steine knirschten unter dem Rumpf
der Roten Bache, als die Barke auf
den Strand lief, flankiert von den beiden anderen Booten. Die
endlose, rhythmische Brandung, die an den Strand schlug, klang wie
der Atem eines gigantischen Seeungeheuers. Nachdem die Segel
gerafft und die Laufplanken herausgeschoben waren, kamen Torson und
Flint zur Roten Bache hinüber
und wollten von Clovis wissen, was das alles zu bedeuten
hatte.
»Wir haben den Plan ein wenig geändert«,
erklärte der Kapitän.
Roran überließ es ihm, seinen Männern die
Lage zu erklären und zu schildern, warum die Dorfbewohner Carvahall
verlassen hatten. Er sprang auf den Strand und suchte in dem Gewühl
der Leute nach Horst. Als er den Schmied gefunden hatte, nahm Roran
ihn beiseite und berichtete ihm von den beiden Toten in Narda.
»Wenn herauskommt, dass ich mit Clovis unterwegs bin, werden sie
uns möglicherweise Soldaten hinterherschicken. Wir müssen die Leute
so schnell wie möglich in die Boote schaffen.«
Horst starrte ihm in die Augen. »Du bist ein
harter Mann geworden, Roran. Härter, als ich es jemals sein
werde.«
»Mir blieb nichts anderes übrig.«
»Pass auf, dass du nicht vergisst, wer du
bist.«
Die nächsten drei Stunden verbrachte Roran
damit, das Hab und Gut der Dorfbewohner auf den Barken zu
verstauen. Die Bündel mussten gesichert werden, damit sie sich
nicht unversehens losrissen und jemanden verletzten, und man musste
sie so auf die Gefährte verteilen, dass die Boote gleichmäßig im
Wasser lagen, was gar nicht so leicht war, da Gewicht und Größe der
Bündel variierten. Die Tiere ließen sich nur widerwillig an Bord
treiben, wo man sie im Laderaum mit Stricken an Eisenringen
festband, damit sie nicht herumspringen konnten.
Als Letztes kamen die Menschen, die wie der
Rest der Fracht gleichmäßig auf die Laderäume verteilt wurden,
damit sie die Barken nicht zum Kentern brachten. Clovis, Torson und
Flint standen am Bug ihrer Boote und brüllten den Dorfbewohnern
Befehle zu.
Was ist denn jetzt
schon wieder los?, fragte sich Roran, als er am Strand einen
lautstarken Streit hörte. Er schob sich durch die Menge und sah
Calitha vor ihrem Stiefvater Wayland stehen und auf den Greis
einreden.
»Nein! Ich gehe nicht an Bord dieses
Seelenverkäufers! Nie im Leben!«, zeterte Wayland. Er schlug mit
seinen welken Armen um sich und versuchte, sich von Calitha
loszureißen. Spucke flog ihm aus dem Mund. »Lass mich los, sag ich!
Lass mich los!«
Calitha zuckte unter den Schlägen zusammen.
»Er ist außer sich, seit wir auf dem Strand sind.«
Es wäre besser für alle
gewesen, wenn er im Buckel gestorben wäre, bei all dem Ärger, den
er ständig verursacht, dachte Roran. Er ging zu Calitha, und
gemeinsam gelang es ihnen, den Greis so weit zu beruhigen, dass er
nicht mehr herumbrüllte und um sich schlug. Als Belohnung gab
Calitha ihm ein Stück Dörrfleisch, das schlagartig seine ganze
Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Während Wayland zufrieden auf dem
Fleisch herumkaute, führten Roran und Calitha ihn an Bord
der Edeline und setzten ihn in
eine abgelegene Ecke, wo er niemanden belästigen konnte.
»Bewegt eure Hintern, ihr Landratten!«,
brüllte Clovis. »Die Ebbe setzt gleich ein. Hopp, hopp!«
Endlich wurden die Laufplanken eingezogen,
und vor jeder Barke blieben rund zwanzig Männer auf dem Strand
stehen und machten sich daran, die Boote ins Wasser
zurückzuschieben.
Roran leitete die Gruppe an
der Roten Bache. Sie sangen im
Chor, während er und sein Trupp sich gegen die riesige Barke
stemmten. Der graue Sand knirschte unter ihren Füßen, Holz und Taue
knarrten und der Geruch von Schweiß erfüllte die Luft. Einen Moment
lang schien ihre Mühe vergebens, aber dann ruckte die Barke einen
Fußbreit zurück.
»Noch mal!«, brüllte Roran. Fuß um Fuß
schoben sie das Boot weiter ins Meer, bis das kalte Nass ihre
Hüften umspülte. Eine Welle schlug über Roran zusammen und er bekam
einen Schwung Meerwasser in den Mund, das er hastig ausspuckte,
angewidert von dem Salzgeschmack, der viel intensiver war, als er
es erwartet hatte.
Als die Barke sich schließlich vom
Meeresboden hob, schwamm Roran neben ihr her und zog sich an einem
der herunterhängenden Taue über das Dollbord. Die Matrosen stakten
das Boot nun mit langen Stangen weiter ins Meer hinaus, so wie es
auch auf der Annabell und
der Edeline geschah.
Als sie weit genug vom Strand entfernt
waren, befahl Clovis, die Stangen zu verstauen und stattdessen die
Ruder einzuhängen, mit denen die Matrosen den Bug
der Roten Bache zum Ausgang der
Bucht richteten. Sie setzten das Segel, richteten es in den Wind
und nahmen an der Spitze der Boote Kurs auf Teirm.